Der Bergdoktor, sei Bruada – und i

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Herrliche Berge, sonnige Höhen… Das Ellmauer Tor am Wilden Kaiser.

Eigentlich sollte es ein unbeschwertes Wochenende in den Bergen werden: Sonne tanken, durchatmen, Natur genießen. Und das vor der Postkartenkulisse des Wilden Kaisers, mitten in den Tiroler Alpen.

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Die Wochenbrunner Alm (1085 m) über Ellmau. Start unserer Bergwanderung.

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Hans Gruber (Heiko Ruprecht) kennt sich aus in den Bergen. Am liebsten sind ihm Wege, die nur wenige kennen.

Ich habe mich mit Hans, dem jüngeren der Gruber-Brüder in Ellmau verabredet. Er will mir so einige Tricks verraten. Von der Wochenbrunner-Alm wollen wir hoch über die Gaudeamushütte (1263 m) zum Kaiserklettergarten wandern.

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„Bergvagabunden sind wir…“

Hans, selbst erfahrener Bergsteiger, der rund um Ellmau jeden Pfad, jede Bergspitze persönlich kennt, hatte mich gewarnt: Die Berge seien nun mal nichts für Unerfahrene. Allein von Mitte Mai bis Mitte Oktober letzten Jahres hat die Bergwacht hier 60 abenteuerlustige Touristen aus Notlagen auf abseits gelegenen Pfaden des Kaiser-Massivs befreit.

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Heiko Ruprecht ist selbst erfahrener Bergsteiger und klettert gerne

Ich geb’s ja zu, ich wollte nicht hören, pirsche mich mit der Kamera an einen Enzian heran, der unterhalb des Ellmauer Tors so kitschig-blau in der Morgensonne blüht. Nur ein kleiner Felsvorsprung trennt mich von dem Blumenmotiv. Und dann: ein Tritt, ein Foto, noch ein Trrrr – und schon ist’s geschehen: Ich rutsche ab und lande unsanft auf dem Rücken.

Ja, ja, so blau, blau, blau, blüht der Enzian - und schwups war's passiert

Ja, ja, so blau, blau, blau, blüht der Enzian – und schwups war’s passiert

Zum Glück kann Hans in Windeseile Kontakt zu seinen Freunden von der Bergwacht in Scheffau-Söllandl herstellen. Ja, auch dafür gibt’s schon eine App, die selbständig die GPS-Koordinaten übermittelt. Minuten später sind die Helfer zur Stelle.

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Bergretter Wolfi sichert mich beim Bergungseinsatz

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Geländegängiges Rettungsfahrzeug der Bergwacht

Wolfi, mein Bergretter, legt mir Schutzhelm und Gurt an – und seilt mich ganz langsam ab. Aber der Auftrieb ist schon enorm für einen Touri, der sich lediglich das Steißbein gestoßen hat. Ich danke Hans und der gesamten Bergwacht-Truppe herzlich und darf den langen Weg ins Tal mit dem Bergwacht-Spezialmobil zurücklegen.

Unten angekommen, werden die Schmerzen stärker: „Nutzt nix, da musst zu meinem Bruder Martin, dem Bergdoktor“, meint Hans – und eh ich mich versehe, lieg ich schon auf der Pritsche in der Bergdoktor-Praxis. Und warte. Doch außer mir ist niemand da. Nicht mal Dr. Melchinger, sein Mentor und Stellvertreter. Er mache eine Kreuzfahrt mit dem Traumschiff, heißt es…

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Die Praxis des Bergdoktors über Ellmau. Kaiser-Panorama inbegriffen.

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Nicht dumm: am Praxiseingang prangt das Schild von Vertretungsarzt Dr. Melchinger. Das Schild von Bergdoktor Martin Gruber werde immer wieder gestohlen, erzählt mir die Gruber Vicky.

Der Schreibtisch des Doktors ist nahezu verwaist, nur Krankenakten und ein Rezeptblock liegen darauf.

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Der Nächste, bitte! Doch weder Dr. Gruber noch Dr. Melchinger haben Sprechstunde

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Und es gibt ihn doch! Hier der Beweis: der Rezeptblock von Dr. Martin Gruber.

„Versuchs halt amol auf dem Gruaber-Hof“, gibt mir ein Nachbar schließlich den Rat, als ich schon eine geschlagene Stunde vergeblich auf den Doc warte. Geniale Idee: Zwei Filmminuten später habe ich die zehn Kilometer und 500 Höhenmeter schon hinter mich gebracht. Volltreffer: Da sitzt er nun am Gruberschen Outdoor-Familientisch 1175 Meter hoch über Söll, lässig, als habe er Urlaub. Das zumindest signalisiert sein pinkfarbener Hut (ein orginal Stetson, wie er mir verrät. Im Internet (!) gekauft).

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Der Bergdoktor (Hans Sigl) wird selbst auf dem Gruberhof von Patienten behelligt

„Dr. Gruber, ich habe Rücken!“, beginne ich meine Leidensgeschichte. Er schaut sich das kurz an, legt die Stirn in Falten – und überweist mich sofort an Dr. Kahnweiler ins Spital nach Hall. Das müsse im CT abgeklärt werden. Er verabschiedet mich freundlich, nicht ohne mir vorher seine Mama Lisbeth, Tochter Lilli und seine Schwägerin und Ex-Gspusi Susanne vorgestellt zu haben.

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DSC_0305 Oben: Der Bergdoktor (Hans Sigl) stellt mir seine Familie vor: Mama Lisbeth (Monika Baumgartner), Lilli (Ronja Forcher) und Schwägerin Susanne Dreiseitl (Natalie O’Hara), bevor er mich zu Dr. Kahnweiler ins Klinikum nach Hall schickt.

Allmählich mache ich mir Sorgen: „Martin. mein einziger Freund, was haben wir übersehen?“ entfährt es mir. „Was haben wir übersehen“, wiederholt der Bergdoktor sinnierend. „Was haben wir bloß übersehen, mein lieber Alexander? Aber ich werde es herausfinden!“ Hä, Alexander?

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Gespenstig wirken die leeren Räume, Flure, OPs und Intensivstation des „Klinikums Hall“

DSCN3678 DSCN3689DSCN3690 Gar nicht so leicht herauszufinden ist, wo dieses besondere Krankenhaus liegt. Auch hier ein ähnliches Bild wie zuvor in der Bergdoktor-Praxis: Leere Flure, leere OPs, leere Ärztezimmer (Dr. Kahnweiler arbeite sich auf Geheiß von Professor Fendrich an Klinikchefin Vera ab).

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Lachen macht gesund. Zumindest auf der „Intensivstation des Klinikums Hall“

Auf der Intensivstation setze ich mich auf die Kante eines leeren Bettes und warte – vergeblich. Allmählich beschleicht mich ein Verdacht: Ich erkunde die Flure, öffne reihenweise Türen ins Nichts bis ich schließlich auf einen Vorhang aus dunkelgrüner Gartenbau-Folie stoße. Ich schiebe ihn beiseite und stehe – in einer Tennishalle von Ellmau. Eine ganze Klinik, wie übrigens (fast) alles zuvor Geschriebene – einfach nur FAKE!

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Hinter diesen Sichtschutz-Folien in einer Ellmauer Tennishalle liegt das „Klinkum Hall“ – mit kompletter Intensivstation, OPs und Ärztezimmern.

Kein Fake: Dieses „Storylie“ entstand im Rahmen einer Recherche zum Thema Filmtourismus in der Region „Wilder Kaiser“/Tirol vor der Kulisse der ZDF-Serie „Der Bergdoktor“ . Eine Reisereportage und ein Exklusiv-Interview mit „Bergdoktor“ Hans Sigl erscheint demnächst in der Rhein-Zeitung.

Die Kulturlandschaft Steillage ist unser aller Erbe!

Die Zahlen stimmen nachdenklich: In den kommenden zehn Jahren geben 90 Winzerbetriebe an der Mosel auf. Jährlich! Das sind  1,73 Weingüter pro Woche! Könnte uns egal sein. Wein gibt es dennoch genügend – 99,88 Prozent der Weltweinproduktion stammt eben nicht von den Rebhängen und Steillagen zwischen Trier und Koblenz. Und selbst alle 13 deutschen Anbaugebiete zusammen machen nur 1,35 Prozent der Rebfläche in aller Welt aus. Die Moselwinzer sind auf dem Rückzug: Mehr als drei Viertel von ihnen sind älter als 45 Jahre, gut ein Drittel von ihnen ist ohne eigentliche Berufsausbildung. Der Preiskampf mit den Massenanbaugebieten aus den europäischen Nachbarländern und Übersee ist tödlich. Kein Wunder, wenn viele hinschmeißen. Selbst die Steillage, so scheint’s,  kennt nur eine Perspektive: nach unten.

An ein riesiges römischae Amphitheater erinnert die Lage "Uhlen", hier vom Aussichtspunkt "Blumslay". (c) Burger

An ein riesiges römischae Amphitheater erinnert die Lage „Uhlen“, hier vom Aussichtspunkt „Blumslay“. (c) P. Burger

Von wegen! Winningen, kurz vor den Toren der Stadt Koblenz gelegen und damit auch kurz vorm Rhein, schickt sich an, ein „gallisches Dorf“ in Sachen weinbaulichem Nachwuchs zu werden. Zwar deutet auch in dem für seine hervorragenden Weine aus den Steillagen der Terrassenmosel bekannten Weinbaugemeinde alles auf einen Rückzug hin. Immerhin sank die Zahl der Betriebe in den letzten 15 Jahren um rund die Hälfte: Zur Jahrtausendwende gab es noch 77 Betriebe, darunter 32 Vollerwerbswinzer, heute sind es noch 22 Voll- und 17 Nebenerwerbswinzer.  Und dennoch keimt in Winningen die Hoffnung: Da wächst eine junge Winzergeneration heran, die so ganz anders tickt wie ihre Eltern und Großeltern – wenn die denn überhaupt im Weinbau tätig waren.

Sie sind Diplom Ingenieur, Bacchelor oder Master in Weinbau und Oenologie, haben zumeist in Geisenheim studiert. Sie lieben das Terroir der Steilhänge, wenn sie auf der 9. Terrasse des „Uhlen“ in das Rund des Amphitheaters der Mosel an dieser Stelle schauen. Sie sind begeistert von der Vinifikation im Keller, von der Spontanvergärung und der Reduktion des Weinbereitung auf jahrzehntealten und bewährte Verfahren. Sie sind Betriebswirte und Marketingfachleute, Naturschützer.und Landschaftspfleger. Sie sind bodenständige Handwerker und innovative Wissenschaftler. Sie sind Männer und Frauen, die ihren Beruf lieben. Sie vereint und vereinen Professionalität und Emotionalität im Weinbau. Sie sind weltoffene Netzwerker, mehrsprachig und haben so manchen Keller in Südafrika, Kalifornien, Australien, Frankreich, Italien oder Spanien gesehen. Sie verkörpern einen völlig neuen Typus, fernab angestaubter Fachwerk-mit-Rebenranken-und-Wappenschild-Romantik. Wenn es eine Zukunft für den Weinbau in Deutschland und speziell an der Terrassenmosel gibt, dann mit solchen Frauen und Männern! Doch Ausbildung, Qualifikation, Leidenschaft für den Beruf ist das eine. Damit sich aber junge Menschen weiterhin diesem Knochenjob verschreiben und somit – ganz nebenbei – eine einzigartige Kulturlandschaft erhalten. – müssen die Rahmenbedingungen auch stimmen.

Monorakbahn im Winninger Röttgen. Die einzige maschinelle "Lesehilfe". (C) Burger

„Stairway to heaven“: Monorakbahn im Winninger Röttgen. Die einzige maschinelle „Lesehilfe“. (c) P. Burger

  1. Der Einstieg: Wer nicht das Glück hat, auf den (mehr oder minder großen) Erfolg der Väter oder Vorväter aufbauen zu können und neu in den Beruf startet, braucht auch nötige Kapital. „Ein bis drei Millionen“, schätzt „Flaggschiff“  Reinhard Löwenstein in dessen VDP-Weingut Heymann-Löwenstein Kathrin Starker als junge, angestellte Kellermeisterin ihren Weg geht . Die Crux: Nur wer bereits Geld hat, erhält frisches! Und venture capital für den Wingert gibt’s noch nicht.
  2. Die Nachfolge: Längst nicht alle Winzerhöfe haben einen Nachfolger – oder suchen ihn überhaupt! Viele Söhne und Töchtern aus Weingütern alter Prägung suchen ihr Glück längst in anderen Berufen oder wandern in die Ballungszentren ab. Eine Chance also für Seiteneinsteiger? Sollte man meinen. Doch „die Alten“ lassen viel zu selten Junge ran oder räumen gar ihren Hof. Da haben Rebecca Materne und Janina Schmitt vom Weingut Materne&Schmitt  richtig Glück gehabt: Zum Start ihrer Weinbau-Karriere konnten sie  in einem eingesessenen Winninger Weingut Fuß fassen, Weinberge pachten, Kelter und Keller mieten.Dennoch kein Zuckerschlecken für die Weinmacherinnen.

    Zu Herzen gebundene Bogreben im Winninger "Brückstück". (c) P. Burger

    Zu Herzen gebundene Bogreben im Winninger „Brückstück“. (c) P. Burger

  3. Die Vermarktung: Das Internet und die sozialen Medien zählen längst zu den wichtigsten Absatzkanälen: Image prägend, Information und Emotion vermittelnd. Doch nur wenige der traditionellen Winzer haben das bislang erkannt. Er schon: Matthias Knebel weckt im Netz – auch auf seiner persönlichen Facebook-Seite Lust auf Wein. Der freilich muss vor allem eins – schmecken, wie im Weingut Knebel.
  4. Der Preis: Es sind die Aldis, Penny, Lidls und Rewes, die den heimischen Winzern zu schaffen machen. 2,99 Euro für eine Müller-Thurgau Spätlese aus Rheinhessen, 3,79 für einen Sauvignon-Blanc aus der Pfalz. Mit dem Vollernter auf flachen Wein-Äckern abgerüttelt. Wie können Winzer in der Steillage vermitteln, dass ihr Riesling da mindestens 6,00 Euro, in Top-Lagen wie dem Uhlen, mindestens 10 Euro kosten muss? 2 Euro kostet die Traubenerzeugung, 1 Euro die Fassweinbereitung, 1,50 Euro das Abfüllen und die Flasche, weitere 1,50 Euro gehen an Marketing und Vertrieb. So rechnet das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Mosel. Und das sind nur die Kosten! Wir Weinfreunde haben es also selbst in der Hand, den Steillagen-Winzern die Zukunft zu sichern!
  5. Das Erbe: Nicht der Betrieb allein, sondern die Perspektive für eine einzigartige Landschaft und das Kulturgut Wein stehen bei den jungen Leuten vielfach im Vordergrund. Sie verteidigen ihre Wingerte und hüten sie wie ein Kleinod. Auch wenn allein der Erhalt der Bruchsteinmauern zur Lebensaufgabe werden kann. So wie bei Katharina von Canal, die im elterlichen Weingut Freiherr von Heddesdorff Fuß fasst – zu ihrer eigenen Überraschung. Denn den Betrieb einmal zu übernehmen, daran hätte sie früher nicht im Traum gedacht. Inzwischen ist sie längst auf den Geschmack gekommen.
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Terrassen im Röttgen. (c) P. Burger

So wie viele Freunde des klassischen Rieslings aus den Steillagen der Terrassenmosel. Doch den wenigsten dürfte bewusst sein, wie sehr die Zukunft dieser Landschaft und ihrer Weine am Engagement  der jungen Winzergeneration liegt. Es ist nicht nur ihr Erbe – sondern unser aller!

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