Die Kulturlandschaft Steillage ist unser aller Erbe!

Die Zahlen stimmen nachdenklich: In den kommenden zehn Jahren geben 90 Winzerbetriebe an der Mosel auf. Jährlich! Das sind  1,73 Weingüter pro Woche! Könnte uns egal sein. Wein gibt es dennoch genügend – 99,88 Prozent der Weltweinproduktion stammt eben nicht von den Rebhängen und Steillagen zwischen Trier und Koblenz. Und selbst alle 13 deutschen Anbaugebiete zusammen machen nur 1,35 Prozent der Rebfläche in aller Welt aus. Die Moselwinzer sind auf dem Rückzug: Mehr als drei Viertel von ihnen sind älter als 45 Jahre, gut ein Drittel von ihnen ist ohne eigentliche Berufsausbildung. Der Preiskampf mit den Massenanbaugebieten aus den europäischen Nachbarländern und Übersee ist tödlich. Kein Wunder, wenn viele hinschmeißen. Selbst die Steillage, so scheint’s,  kennt nur eine Perspektive: nach unten.

An ein riesiges römischae Amphitheater erinnert die Lage "Uhlen", hier vom Aussichtspunkt "Blumslay". (c) Burger

An ein riesiges römischae Amphitheater erinnert die Lage „Uhlen“, hier vom Aussichtspunkt „Blumslay“. (c) P. Burger

Von wegen! Winningen, kurz vor den Toren der Stadt Koblenz gelegen und damit auch kurz vorm Rhein, schickt sich an, ein „gallisches Dorf“ in Sachen weinbaulichem Nachwuchs zu werden. Zwar deutet auch in dem für seine hervorragenden Weine aus den Steillagen der Terrassenmosel bekannten Weinbaugemeinde alles auf einen Rückzug hin. Immerhin sank die Zahl der Betriebe in den letzten 15 Jahren um rund die Hälfte: Zur Jahrtausendwende gab es noch 77 Betriebe, darunter 32 Vollerwerbswinzer, heute sind es noch 22 Voll- und 17 Nebenerwerbswinzer.  Und dennoch keimt in Winningen die Hoffnung: Da wächst eine junge Winzergeneration heran, die so ganz anders tickt wie ihre Eltern und Großeltern – wenn die denn überhaupt im Weinbau tätig waren.

Sie sind Diplom Ingenieur, Bacchelor oder Master in Weinbau und Oenologie, haben zumeist in Geisenheim studiert. Sie lieben das Terroir der Steilhänge, wenn sie auf der 9. Terrasse des „Uhlen“ in das Rund des Amphitheaters der Mosel an dieser Stelle schauen. Sie sind begeistert von der Vinifikation im Keller, von der Spontanvergärung und der Reduktion des Weinbereitung auf jahrzehntealten und bewährte Verfahren. Sie sind Betriebswirte und Marketingfachleute, Naturschützer.und Landschaftspfleger. Sie sind bodenständige Handwerker und innovative Wissenschaftler. Sie sind Männer und Frauen, die ihren Beruf lieben. Sie vereint und vereinen Professionalität und Emotionalität im Weinbau. Sie sind weltoffene Netzwerker, mehrsprachig und haben so manchen Keller in Südafrika, Kalifornien, Australien, Frankreich, Italien oder Spanien gesehen. Sie verkörpern einen völlig neuen Typus, fernab angestaubter Fachwerk-mit-Rebenranken-und-Wappenschild-Romantik. Wenn es eine Zukunft für den Weinbau in Deutschland und speziell an der Terrassenmosel gibt, dann mit solchen Frauen und Männern! Doch Ausbildung, Qualifikation, Leidenschaft für den Beruf ist das eine. Damit sich aber junge Menschen weiterhin diesem Knochenjob verschreiben und somit – ganz nebenbei – eine einzigartige Kulturlandschaft erhalten. – müssen die Rahmenbedingungen auch stimmen.

Monorakbahn im Winninger Röttgen. Die einzige maschinelle "Lesehilfe". (C) Burger

„Stairway to heaven“: Monorakbahn im Winninger Röttgen. Die einzige maschinelle „Lesehilfe“. (c) P. Burger

  1. Der Einstieg: Wer nicht das Glück hat, auf den (mehr oder minder großen) Erfolg der Väter oder Vorväter aufbauen zu können und neu in den Beruf startet, braucht auch nötige Kapital. „Ein bis drei Millionen“, schätzt „Flaggschiff“  Reinhard Löwenstein in dessen VDP-Weingut Heymann-Löwenstein Kathrin Starker als junge, angestellte Kellermeisterin ihren Weg geht . Die Crux: Nur wer bereits Geld hat, erhält frisches! Und venture capital für den Wingert gibt’s noch nicht.
  2. Die Nachfolge: Längst nicht alle Winzerhöfe haben einen Nachfolger – oder suchen ihn überhaupt! Viele Söhne und Töchtern aus Weingütern alter Prägung suchen ihr Glück längst in anderen Berufen oder wandern in die Ballungszentren ab. Eine Chance also für Seiteneinsteiger? Sollte man meinen. Doch „die Alten“ lassen viel zu selten Junge ran oder räumen gar ihren Hof. Da haben Rebecca Materne und Janina Schmitt vom Weingut Materne&Schmitt  richtig Glück gehabt: Zum Start ihrer Weinbau-Karriere konnten sie  in einem eingesessenen Winninger Weingut Fuß fassen, Weinberge pachten, Kelter und Keller mieten.Dennoch kein Zuckerschlecken für die Weinmacherinnen.

    Zu Herzen gebundene Bogreben im Winninger "Brückstück". (c) P. Burger

    Zu Herzen gebundene Bogreben im Winninger „Brückstück“. (c) P. Burger

  3. Die Vermarktung: Das Internet und die sozialen Medien zählen längst zu den wichtigsten Absatzkanälen: Image prägend, Information und Emotion vermittelnd. Doch nur wenige der traditionellen Winzer haben das bislang erkannt. Er schon: Matthias Knebel weckt im Netz – auch auf seiner persönlichen Facebook-Seite Lust auf Wein. Der freilich muss vor allem eins – schmecken, wie im Weingut Knebel.
  4. Der Preis: Es sind die Aldis, Penny, Lidls und Rewes, die den heimischen Winzern zu schaffen machen. 2,99 Euro für eine Müller-Thurgau Spätlese aus Rheinhessen, 3,79 für einen Sauvignon-Blanc aus der Pfalz. Mit dem Vollernter auf flachen Wein-Äckern abgerüttelt. Wie können Winzer in der Steillage vermitteln, dass ihr Riesling da mindestens 6,00 Euro, in Top-Lagen wie dem Uhlen, mindestens 10 Euro kosten muss? 2 Euro kostet die Traubenerzeugung, 1 Euro die Fassweinbereitung, 1,50 Euro das Abfüllen und die Flasche, weitere 1,50 Euro gehen an Marketing und Vertrieb. So rechnet das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Mosel. Und das sind nur die Kosten! Wir Weinfreunde haben es also selbst in der Hand, den Steillagen-Winzern die Zukunft zu sichern!
  5. Das Erbe: Nicht der Betrieb allein, sondern die Perspektive für eine einzigartige Landschaft und das Kulturgut Wein stehen bei den jungen Leuten vielfach im Vordergrund. Sie verteidigen ihre Wingerte und hüten sie wie ein Kleinod. Auch wenn allein der Erhalt der Bruchsteinmauern zur Lebensaufgabe werden kann. So wie bei Katharina von Canal, die im elterlichen Weingut Freiherr von Heddesdorff Fuß fasst – zu ihrer eigenen Überraschung. Denn den Betrieb einmal zu übernehmen, daran hätte sie früher nicht im Traum gedacht. Inzwischen ist sie längst auf den Geschmack gekommen.
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Terrassen im Röttgen. (c) P. Burger

So wie viele Freunde des klassischen Rieslings aus den Steillagen der Terrassenmosel. Doch den wenigsten dürfte bewusst sein, wie sehr die Zukunft dieser Landschaft und ihrer Weine am Engagement  der jungen Winzergeneration liegt. Es ist nicht nur ihr Erbe – sondern unser aller!

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